Einbeck (red). Es ist früh, als am Samstag, 16. März 2024, die Klavierpädagogin Elena Münster aus Panketal auf ihr Handy schaut: „Alles Gute zum Geburtstag, Mama!“, wünschen ihr ihre zwei Kinder via Videonachricht und sie muss lächeln.
Schnell macht sie sich fertig und trifft sich im Flur der TangoBrücke mit Tinka Ebeling, ihrer 16-jährigen Schülerin. Ein aufregender Tag liegt vor den beiden, denn zusammen sind sie zu Besuch in der idyllischen südniedersächsischen Fachwerkstadt Einbeck, damit Tinka bei einem bundesweiten Klavierwettbewerb teilnimmt.
Der besagte Wettbewerb trägt den zum anstehenden Frühlingsanfang passenden Namen „Einbecker Klavierfrühling“.
Dessen Konzept ist einfach. Es geht darum, 40 leidenschaftlichen Hobbymusikern ab fünf Jahren eine Bühne zu bereiten, auf der sie ihr Können auf dem Klavier der Öffentlichkeit und einer professionellen Jury präsentieren dürfen.
Als Elena Münster von dieser Möglichkeit das erste Mal erfahren hat, ist sie sofort begeistert gewesen, jedoch ist ihr Einbeck zunächst völlig unbekannt. Außerdem ist die Stadt, die zwischen Hannover und Göttingen liegt, ziemlich weit entfernt, im Vergleich zu den in Berlin und Umland stattfindenden Wettbewerben, an denen Münsters Schüler bisher teilgenommen haben. Es hat erst noch der Überzeugungskraft des künstlerischen Leiters des „Klavierfrühlings“, Gintaras Januševičius, bedurft, dass Münster und ihre Schülerin Tinka beschlossen haben, sich diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen.
Die Vorspiele des Wettbewerbs finden an zwei Standorten gleichzeitig statt: In der TangoBrücke, wo Elena Münster und Tinka auch übernachtet haben, und in der Mendelssohn Musikschule.
Tinka muss für ihren Auftritt in die Mendelssohn Musikschule. Der Weg dahin ist kurz - viel zu kurz, denn die Nervosität steigt bei Tinka immer mehr. Sie ist in ihrer Altersgruppe die Erste, die sich der Jury präsentiert und überhaupt ist es auch das erste Mal, dass sie an einem solchen Wettbewerb teilnimmt.
Tinka trägt ein bodenlanges schwarzes Kleid mit einem Oberteil aus schwarzer Spitze, ihre Haare sind hochgesteckt. Sie sieht sehr elegant aus, während sie unter gespannten Blicken der Jury und des Publikums nach vorne geht und sich an den Klavierflügel setzt, nachdem Januševičius sie mit ein paar Worten vorgestellt hat.
Dann fängt sie an, zu spielen. Tinka braucht keine Noten, um ihre Hände musikalisch über die Klaviertastatur schweben zu lassen. Stücke von Bach, Chopin und aus dem Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ sind Teil ihres Repertoires und nach dem wochenlangen Üben so sehr in ihrem Kopf, dass es keine Schwierigkeit für Tinka darstellt, sie auswendig zu spielen. Nur die Nervosität verleitet sie zunächst dazu, sich ein paar Mal zu verspielen. Doch davon lässt sich Tinka nicht aus der Ruhe bringen. Wie ein Profi spielt sie, scheinbar völlig unbehelligt, weiter und wird immer sicherer. Knapp neun Minuten verzaubert sie alle Zuhörenden im Raum durch ihre Musikalität und ihre Eleganz beim Spielen.
Elena Münster nickt Tinka stolz zu, als sie den letzten Ton verklingen lassen hat, langsam die Hände und den Fuß vom Pedal hebt und dann schüchtern ins Publikum lächelt.
Danach können Lehrerin und Schülerin erstmal durchatmen und dem Spielen der anderen Teilnehmer lauschen. Beeindruckt und fast schon überrascht, stellt Elena Münster fest, auf welch hohem Niveau die anderen spielen.
Nachdem Tinkas Altersgruppe mit ihren Auftritten abgeschlossen hat, können sich Elena Münster und Tinka, dank der wunderbaren Organisation an Verpflegung für die Teilnehmenden, ordentlich stärken, bevor etwas Zeit bleibt, Einbeck zu erkunden.
Die charmante Fachwerkstadt hat mit Europas größter Oldtimeraustellung, der langjährigen Brautradition und der historischen Altstadt einiges zu bieten. Die Panketaler lockt es ins spannende Stadtmuseum, in dem sie viel über die Entwicklung der Stadt und die Geschichte der Fahrräder lernen, bevor sie die einmalige Gelegenheit haben, mit den Juroren zu sprechen.
Es ist für solche Wettbewerbe eher unüblich, eine persönliche Auswertung seines Auftritts im Eins-zu-Eins-Gespräch mit der Jury zu erhalten. Beim „Einbecker Klavierfrühling“ gibt es jedoch die Möglichkeit, mit zwei Juroren zu sprechen. Gesa Behrens, Professorin an der HfMDK Frankfurt und Sergey Belyavsky, Preisträger von mehr als dreißig renommierten internationalen Klavierwettbewerben, geben Tinka eine ausführliche Rückmeldung. Das gibt auch Elena Münster die Gelegenheit, ihre Arbeit zu reflektieren und sich bei der Vorbereitung ihrer Klavierschüler für solche Wettbewerbe zu verbessern.
Darauffolgend müssen die Panketaler auch schon weiter, denn das Preiskonzert mit anschließender Preisvergabe findet in der Aula der Goetheschule statt. Der große, ehrwürdige Raum der Aula mit der dunklen Holzverkleidung schafft genau die richtige Atmosphäre für den Abschluss des Wettbewerbstages. Elena und Tinka sind gespannt auf die Preisverleihung, aber Tinka erfüllt auch eine innere Ruhe. Die anderen Teilnehmer haben alle auf einem sehr hohen Niveau gespielt, doch auch Tinka ist sehr stark gewesen und vor allem, weiß sie, dass sie gezeigt hat, was sie kann und dass es ihr eine Menge Freude bereitet hat. Allein deswegen, ist es schon ein erfolgreicher Tag für die beiden gewesen, doch dem soll noch die Kirsche auf die Sahnehaube gesetzt werden, denn Tinka gewinnt den dritten Platz in ihrer Altersgruppe.
Es ist das besondere Geburtstagsgeschenk für die Klavierlehrerin und auch für die junge Pianistin eine tolle Auszeichnung.
Auch wenn Tinka später keine professionelle Pianistin werden möchte, sondern Musiktherapeutin, ist dieser Wettbewerb eine unvergessliche Erfahrung für sie gewesen, aus der sie viel mitnehmen kann.
Die beiden Vertreterinnen aus Panketal sind sich einig: „Wir kommen gerne wieder, wenn der „Einbecker Klavierfrühling“ junge Klaviertalente wieder aufblühen lässt.“
Fotos: Elli Beyreuther