Einbeck (red). Sigmar Gabriel, unter anderem ehemaliger Vizekanzler und Ministerpräsident, ist international seit 2019 Vorsitzender der „Atlantik-Brücke“ und Mitglied des „European Council on Foreign Relations“ aktiv. In dieser Funktion referierte Gabriel an diesem Abend mehr als eine Stunde vor mehr als 130 Zuhörern und Zuhörerinnen aus Service-Clubs Südniedersachsens eindrucksvoll über die derzeitigen weltpolitischen Veränderungen.
Er zeigte geschichtlich auf, dass es immer wieder neue Machtzentren in der Welt gibt, die die gesamte Menschheit beeinflussen und zu einer Verschiebung des jeweiligen wirtschaftlichen und militärischen Zentrums führen. So eine Verlagerung findet zurzeit statt, in dem sich das Machtzentrum vom Atlantik/Europa hin zum Indo-Pazifik, mit China als großem Machtfaktor, verschiebt. Diese Veränderung ist ganzheitlich, also wirtschaftlich und militärisch, zu sehen.
Somit gerät Europa aus dem Zentrum dieser Macht an den Rand des Weltgeschehens. Bereits George W. Bush und auch Obama haben sich in Ihrer Amtszeit deutlich stärker in Richtung Asien orientiert und dies mündet letztendlich in Aussagen des zukünftigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump, dass sich Europa um seine Probleme selbst kümmern solle und zu seiner ablehnenden Haltung der Nato gegenüber.
Sigmar Gabriel legte dar, dass der Isolationismus in Amerika schon immer eine sehr große Rolle spielte und sich Amerika nie gerne um zwei Dinge gleichzeitig gekümmert habe, hier Europa und Indo-Pazifik. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war Amerika die alleinige Ordnungsmacht in der Welt, zog sich jedoch aufgrund dieses Isolationismus immer weiter zurück. Laut Sigmar Gabriel gibt es in der Politik kein Vakuum, so dass sich durch diesen Rückzug andere berufen fühlten, diese Lücke zu schließen, z. B. Russland oder China.
Aus diesem Rückzug Amerikas folgt dann auch die Forderung an Europa und besonders auch an Deutschland, sich mehr um die eigene Sicherheit z. B. durch höhere Militärausgaben zu kümmern und hier mehr zu investieren.
Hier ging Gabriel dann auch auf die ganz aktuellen Veränderungen in der zukünftigen amerikanischen Politik ein und legte dar, dass die grundsätzliche Ausrichtung der Forderungen sich nicht zwischen Donald Trump und Kamala Harris unterscheiden, es jedoch unter einer Präsidentschaft Harris wohl leichter geworden wäre, Kompromisse zu schließen, als es unter Trump möglich sein wird. Europa wird aber Angebote an die US machen (müssen), um den neuen Präsidenten dadurch zu beruhigen, z. B. durch die größere Abnahme von LNG (Flüssiggas) aus Amerika.
Auch die Uneinigkeit innerhalb Europas wurde von ihm thematisiert, was an dem Rechtsruck in vielen europäischen Staaten zu spüren ist. Eine seiner größten Sorgen sei jedoch Trumps Zweifel an der Nato: „Wird die Nato zusammenhalten?“. Der Art.5 des Nato-Vertrages bedeute vereinfacht ins Deutsche übersetzt: „Ich bin bereit, mein Leben für Deine Freiheit einzusetzen!“ Und dies müsse man sich auch in aller Klarheit vergegenwärtigen.
„Deutschland muss sehr viel mehr dafür tun, damit Europa zusammenhält. Militärisch müssen wir auf Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft setzen, da Russland uns testen wird und wir darauf vorbereitet sein müssen. Wirtschaftlich ist es notwendig, wieder Stabilität zu gewährleisten und die Infrastruktur zu stärken. Dies muss auch auf Kosten einer höheren Verschuldung geschehen. Die Probleme werden sich nicht von selbst erledigen, und daher muss Deutschland zusammen mit Europa wieder eine Einheit bilden – auch mit mehr Risikobereitschaft“, so Sigmar Gabriel. Abwarten sei die falsche Entscheidung und auch auf die Hilfe anderer, z. B. der Vereinigten Staaten zu hoffen und zu warten.
Gabriel fordert mehr Mut für die Aufgaben, die noch vor uns liegen, es gibt jedoch keinen Grund für Pessimismus. Die kommenden Aufgaben, die vor uns liegen, seien zwar groß, aber nicht unlösbar. In der anschließenden Diskussion wurde auf die politischen Belange der aktuellen Bundespolitik und auch den Konflikt in der Ukraine eingegangen.
Hier zog er sein Fazit, dass es vermutlich auf ein Festschreiben des Status Quo hinauslaufen werde, also „Land gegen Frieden“ es aber eigentlich auf „Sicherheit gegen Frieden“ hinauslaufen müsste. Mit lang anhaltendem Beifall und einer Spendensammlung für ein Kinder- und Jugendprojekt im Bereich Goslar in Höhe von 3.000 Euro ging ein spannender Abend zu Ende.
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