Lauenberg) Sie sind uralt, knorrig gewachsen und an vielen Stellen morsch - die Solling-Eichen im Hutewald bei Lauenberg. Seit 500 Jahren gibt es die 80 Uralt-Eichen am östlichen Sollingrand, knapp die Hälfte der „ehrwürdigen Damen“ lebt noch. Die übrigen sind längst abgestorben und bleiben so lange stehen, bis Pilze und Würmer sie zu Fall bringen. Weil das für seltene Eremit-Käfer und Mittelspechte möglichst lange so bleiben soll, müssen Forstleute alle paar Jahre den Baumveteranen zu Hilfe eilen. Sonst gingen wüchsige Jungbäume den alten Veteranen sprichwörtlich an den Kragen. Am 1. Februar beginnen Waldarbeiter mit der Pflege. Dort, wo junge kräftige Buchen den betuchten Eichen auf die Borke rücken, kommt die Kettensäge zum Einsatz.
„Am kommenden Montag beginnen wir mit den Pflegearbeiten zum Schutz des Hutewaldes. Wir fällen solche Bäume, die die mächtigen Eichen bedrängen und ihnen das Sonnenlicht in der Krone und am Waldboden abschnüren“, sagt Lukas Speitling. Der Förster aus dem Niedersächsischen Forstamt Dassel betreut die Forstarbeiten im europäischen Naturschutzgebiet. Gemeinsam mit der Naturschutzbehörde des Landkreises Northeim haben Speitling und Naturschutzförster Kai Conrad die Pflegearbeiten abgesprochen. Neben den Uralteichen sollen auch mittelalte, besonders astige Eichen gefördert werden. In den knorrigen Kronen lebt der seltene Mittelspecht und später in den Faulhöhlen sehr seltene Holzkäfer. „Uns geht es in diesem Wald nicht um die Erzeugung von Wertholz für die Möbelindustrie“, sagt Waldökologe Kai Conrad. Das langfristige Ziel der Niedersächsischen Landesforsten in diesem Waldschutzgebiet liege darin, möglichst neue Hutebäume heranzupflegen, die ihrerseits wieder sehr alt werden könnten. „Wenn wir hier gar nichts tun, wachsen jüngere Bäume den bisherigen und künftigen Huteeichen über den Kopf und dunkeln sie aus. Damit verlieren gerade die Uraltbäume ihren Wert für Insekten wie den seltenen Eremit-Käfer, der an diesen morschen Eichen lebt“, beschreibt Kai Conrad, warum solche Eichenwälder nicht ohne forstliche Pflegearbeiten überleben können.
Altes Schutzgebiet mit europaweiter Bedeutung
Die ältesten Bäume sind bereits 1908 als Naturdenkmale ausgewiesen worden, seit 112 Jahren ist dieses Waldstück flächig geschützt. Die aktuell gültige Verordnung für das Naturschutzgebiet stammt aus dem Jahr 2020, als das Gebiet auf 322 Hektar deutlich vergrößert und nun das ganze FFH-Gebiet (europäisches Flora-Fauna-Habitat-Gebiet) unter Schutz gestellt wurde. Die jetzigen Pflegearbeiten finden nur im alten Kernbereich mit den Huteeichen statt. Dort hat die dickste Eiche einen Umfang von über sechs Metern und ein Holzvolumen von rund 30 Kubikmeter. Doch den Wert dieser Bäume messen die Förster aus Dassel nicht in Euro. „Was uns Forstleute in diesem Wald fasziniert ist die Vielfalt an Lebewesen, die wir in, an und unter den Lauenberger Eichen finden“, schwärmt Lukas Speitling. Der Forstmann zählt dutzende seltene oder bedrohte Arten auf, die auf und von den Uraltbäumen leben: „Neben dem Eremit kommen hier der Hirschkäfer, der Veränderliche Edelscharrkäfer und verschiedene Rosenkäferarten vor. An Säugetieren könnten wir mit etwas Glück neben den typischen Wald-Fledermäusen die Haselmaus, den Siebenschläfer, die Wildkatze und sogar den Luchs auf seinen Streifzügen durch den Solling antreffen.
Forstamt hat aus Vorsorge junge Huteeichen-Kandidaten nachgepflanzt
Das Forstamt Dassel hat vorgesorgt und bereits vor einigen Jahren junge Eichenheister nachgepflanzt, weitere sollen in diesem Jahr folgen: „Diese Heisterpflanzen brauchen noch 200 Jahre, um ausgewachsen zu sein“, schmunzelt Förster Speitling über die Zeiträume, in denen er und seine Kollegen planen. „Nachhaltig arbeiten lautet unser Grundsatz im Wald, damit unsere Urenkel noch Huteeichen im Solling finden und die Artenvielfalt erhalten bleibt“, fasst Lukas Speitling die Verantwortung zusammen, die auf der Waldbewirtschaftung ruhen. Fest verankert ist dieses Prinzip im sogenannten LÖWE-Programm. Das langfristige ökologische Waldprogramm trat vor 30 Jahren im Landeswald in Kraft. Seit 1991 schützen die Niedersächsischen Landesforsten mit dem LÖWE-Programm in vielen Regionen seltene, kulturhistorisch wertvolle Wälder wie die Lauenberger Eichen.
Kurzzeitpflege nach einer Woche abgeschlossen
Die Pflege des Naturschutzgebiets „Wälder im Solling bei Lauenberg“ ist eine Generationenaufgabe. Vor Jahrhunderten schon weideten in diesem Hutewald bis zu 120 Haustiere und die alten Bäume sollten vor allem Eichelmast für die Hausschweine produzieren. Die Weidetiere haben dabei die jungen Buchen zurückgebissen und dafür gesorgt, dass ein lichter Waldcharakter entstand. Diese Zeiten sind lange vorbei. Bliebe der Hutewald sich selbst überlassen, würde die Artenvielfalt wieder schwinden. „Um die Biodiversität zu erhalten, ist die einwöchige Kurzzeitpflege nötig. Wir lichten mit Freischneider und Motorsäge der Unterwuchs auf und stellen so den typischen Hutewaldcharakter wieder her. Nach einigen Tagen kehrt unter allen Wipfeln wieder Ruhe ein, bevor wir im nächsten Winter zurückkommen“, versprechen Kai Conrad und Lukas Speitling, „denn aus der Langzeitpflege kommen wir nicht mehr raus, sonst geht dieser Schatz unwiederbringlich verloren“, sind sich die beiden Solling–Förster sicher. Sie bitten Wald-Besucher um Verständnis für die Arbeiten im Unterholz. „Wir setzen keine Forstmaschinen ein und das Holz wird nicht verkauft, sondern bleibt im Wald als Nahrung für Käfer und Pilze“, versichert Lukas Speitling zum Nachsehen mancher Brennholzwerber aus Lauenberg.
Foto: Conrad / Landesforsten