Uslar (red). Das „Weihnachtsfenster“ in der St. Johanniskirche in Uslar gibt manches Rätsel auf. Es zeigt den Stall von Bethelem als einen Bretterverschlag, der zugleich von einem palastähnlichen Dach geschützt ist. Maria und Josef sind geradezu königlich gekleidet, während eine Figur am Rand auf einen unbekannten Stifter verweist. Sehr viel weiß die Ev.-Luth. Johannisgemeinde in Uslar nicht über „ihr“ ungewöhnliches Weihnachtsfenster. Im Rahmen steht nur folgendes geschrieben: „Henning und Andres 1903“.
Historikerin Dr. Annette Jansen-Winkeln von der Forschungsstelle „Glasmalerei des 20. Jh. e.V.“ hat sich das Uslarer Fenster genauer angeschaut. Sie hebt die Besonderheit der Darstellung hervor: „Alle vergleichbaren Darstellungen in unserer Datenbank zeigen keine Ähnlichkeiten mit dem Weihnachtsfenster aus Uslar. Im Gegenteil. Auf der Glasmalerei fällt die außergewöhnliche Schönheit und Besonderheit dieser Weihnachtsszene auf: Das Kind sitzt auf dem Schoß Mariens - ansonsten liegt es meistens in der Krippe.“ Nirgends sei Maria in einen derart prächtigen Brokatmantel gekleidet und mit einer Perlenkrone im Haar geschmückt, so Wissenschaftlerin der Forschungsstelle, die ihre Ergebnisse auf der Internetseite „www.glasmalerei-ev.net“ dokumentiert.
Mitten im Stall zu Bethlehem ist Maria von Hirten und Schafen umgeben und zugleich wie eine Königin gekleidet, das ist schon etwas Besonderes. Normalerweise umhüllt sie ein blauer Mantel – Blau als Symbolfarbe für Maria –, doch hier ist sie in einen kostbaren weißen Mantel mit aufwendig goldverzierter Bordüre mit Perlenstickerei gekleidet. Ihr fein in Wellen gelegtes blondes Haar ist von einem Perlendiadem gefasst.
Dr. Annette Jansen-Winkeln ergänzt: „Über die Firma Henning und Andres, die das Bild gemalt hat, wissen wir leider kaum etwas. Aber es gab einen Glasmaler namens Johann Maria Hubert Henning. Er wurde im Jahr 1859 in Recklinghausen geboren und starb 1940 in Hannover. Er besaß wahrscheinlich in Hannover, Feldstr. 2, eine Glasmalerei-Werkstatt, die im Krieg zerbombt wurde. Ob dies die Firma Henning und Andres ist, wissen wir nicht. Die Zerstörung im Krieg wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass sich keine Unterlagen über die Firma finden lassen. Ich hatte auch Kontakt zu Nachkommen in der Familie, die gerne mehr über den Glasmaler erfahren würden.“
In Uslar würden die Nachfahren des mutmaßlichen Künstlers manch ungewöhnliche Entdeckungen machen: Mitten im Stall zu Bethlehem ist Maria von Hirten und Schafen umgeben – und doch wie eine Königin gekleidet. Außerdem trägt auch der Zimmermann Joseph einen weißen Mantel mit goldener Bordüre. Neben Joseph am rechten Bildrand erscheint eine weitere Figur: „Rechts unten steht zudem eine Person in der Art, wie nur Stifterpersonen wiedergegeben werden“, so Jansen-Winkeln von der Forschungsstelle für Glasmareien: „Auch diese Person – dargestellt als Kind - ist wie Maria festlich gekleidet. Josef hat sich ihr zugewandt und weist ihr den Weg zum Jesuskind…“ Die Stifterfigur betet zum Jesuskind, das mit reger Anteilnahme auf Marias Schoß sitzt und wiederum auf Joseph hinweist.
Über den Stifter des Weihnachtsfensters ist der Kirchengemeinde bisher nichts bekannt. Aber Dr. Annette Jansen-Winkeln ist sich sicher: „Glasmalerei ist nie nur Kunst, sondern wurde gespendet zur Erlangung des eigenen Seelenheils und um die herausragende gesellschaftliche Stellung des Stifters kundzutun. Glasbilder erzählen neben der religiösen Erbauung auch Geschichten, die einen Bezug zur Heimat haben.“
Über die Geschichte des Fensters weiß Küster Maik Schietzoldt folgendes: „Die Kirche stammt aus dem 15. Jahrhundert. 1845 wurde aber an den mittelalterlichen Chorraum ein neues Kirchenschiff angebaut. Dieser erhielt vermutlich vorerst provisorische Fenster, wie aus den Aufzeichnungen hervorgeht. 1903 oder später wurden von der Firma Henning und Andres dann die jetzigen, wunderschönen Fenster gestaltet und eingesetzt.“
Dem Küster in Uslar bedeuten die anderen mittelalterlichen Fenster der St. Johanniskirche in Uslar persönlich mehr als das prunkvolle Weihnachtsfenster: „Aber schön anzusehen ist es. Und ich finde es toll, dass das Weihnachtsfenster in dem Bereich ist, in dem die Gottesdienstbesucher sitzen. Und es kann schon gut sein, dass einige dieses Fenster an Heiligabend und Weihnachten besonders wahrnehmen. Sicher ist, dass die Weihnachtsgeschichte in dieser Kirche besonders präsent wird.“
Foto: Andreas Lechtape