Fredelsloh (red). In der Apsis der Fredelsloher Klosterkirche liegt nun wieder das Labyrinth, das schon im letzten Jahr von vielen BesucherInnen durchschritten wurde. Ästhetisch fügt sich das aus Northeimer Kies gestreute Labyrinth auch fabelhaft ein in die alte Fredelsloher Basilica mit ihren hochragenden Mauern und Kapitälen. Aber es ist nicht nur schön, sondern der Gang durch das Labyrinth ist eine echte geistige Übung.
Ein Labyrinth ist ein Ursymbol des Lebens und des Weges, den wir nehmen – alt wie wir Menschen selbst. Das Labyrinth nimmt – wie das Leben — die überraschendsten Wendungen. Man meint die Mitte zu erreichen und springt doch wieder von ihr weg, kommt ab von ihr, pendelt hierhin und dorthin, umspielt die Mitte, ohne ihr näherzukommen. Aber der Weg führt – irgendwann – wieder heran, geleitet in die Mitte und führt den Pilger über sie hinaus.
Das Labyrinth liegt bis in den Herbst und wartet auf seine SchülerInnen, die den Weg hindurchwanden.
Die Klosterkirche ist täglich von 11 bis 17 Uhr geöffnet und neben dem Labyrinth erwarten wundervolle Ausstellungen die Besucherin und den Besucher. Aktuell ist es eine Ausstellung des ukrainischen Meister-Fotografen Wolodymyr Ogloblin. Sie sind alle herzlich willkommen.
Unter diesen Links finden Interessierte kleine spirituelle Filme zum Fredelsloher Labyrinth:
- https://www.youtube.com/watch?v=wFPSIWDpL4I
- https://www.klosterkirche-fredelsloh.de/Informationen/OSTERN/QR09
Labyrinthe – eine kleine Kulturgeschichte
Labyrinthe sind so alt wie die menschliche Kultur selbst. Es gibt sie in den unterschiedlichsten Kulturkreisen. Für unseren Labyrinth-Typ reicht die Geschichte zurück bis in die griechische Mythologie. Das Labyrinth diente dort als Gefängnis des Minotaurus, jenes Fabelwesens, das aus der unbotmäßigen Verbindung der liebestollen Königin Pasiphae und eines Opferstieres hervorgegangen war.
Im kultischen Denken des Altertums mussten dem Stiermenschen alle 9 Jahre Opfer dargebracht werden, um ihn im Labyrinth weiter zu binden – bis der attische Königssohn Theseus das Ungeheuer besiegte. Der berühmte Ariadne-Faden half ihm, den Weg wieder hinauszufinden.
In der minoischen Kultur vergegenwärtigte man sich diesen Mythos, indem junge Frauen einen Labyrinth-Tanz aufführten, ein Rundtanz mit Fackeln und einem Seil, das sie miteinander verband – jenem Ariadne-Faden. Archäologisch deuten Ausgrabungen von kreisförmigen Podien genau auf diese Funktion hin. Auch hier liegt die Bedeutung des Labyrinth-Tanzes ähnlich der späteren christlichen Tradition in der Begegnung mit der Unterwelt, der eigenen Endlichkeit, in der Begegnung mit der eigenen Vergangenheit und dem nahenden Tod. Dann ging es auf der gleichen Strecke voller Erwartung und mit schnellen Schritten zurück.
In den Buchskriptorien frühmittelalterlicher Klöster wurde das antike Wissen um die Labyrinthe tradiert, aufgespeichert im Weisheitsschatz monastischer Lebenskunst. In den großen Codices monastischer Buchkunst sind sie häufig im Verbund mit computistischen Berechnungen der christlichen Festzeiten insbesondere der Osterzeit auf das Pergament aufgetragen. Besonders eindrucksvoll ist dies in der Evangelienharmonie des Otfrid von Weißenburg aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts zu sehen. Das Labyrinth wurde so offenbar zu einem Symbol für den Weg des Christus' umgedeutet, der wie Theseus in die Unterwelt ging – hinabgestiegen ist in das Reich des Todes –, um aus ihr siegreich wiederzukehren.
Wenn es auch schon sehr frühe Darstellungen von Labyrinthen in christlichen Kirchen gab – schon im 4. Jahrhundert –, so erlebte das Kirchenlabyrinth seine Hochzeit zur Zeit der großen Kathedralen im Hoch- und Spätmittelalter. Das Labyrinth von Chartres bildet hier den Urtyp christlicher Labyrinth-Baukunst. Die Fortschreibung des kretischen Labyrinth-Typs besteht im kreuzesförmigen Einziehen von Kehren. Sodann ist der Labyrinth-Typus nach Chartres mit 11-Gängen angelegt – das ist kein Zufall, denn die Elfzahl deutet in christlicher Zahlensymbolik auf die Unvollkommenheit des Lebens hier auf Erden, auf das Jammertal der Sünden hin. Aus diesem Grund ist der Eingang ins Labyrinth immer von Westen, wo man im Mittelalter das Unheil vermutete, in das man sich eben auch verstrickt wusste. Das Labyrinth wird so zum Bußweg. Es ist ein immer wieder beobachtbarer Vorgang der Inkulturation vorchristlicher Tradition in das Christentum.
Labyrinthe sind Initiationswege, die geistige Bewegungen symbolisch zur Darstellung bringen. In der mittelalterlichen Osterliturgie wurde am Ostersonntag sogar ein Ostertanz als Reigen um das Labyrinth aufgeführt, darin tanzte der Liturg im Dreischritt gen Mitte und wieder hinaus. Dazu wurde ein Ball zwischen den Akteuren hin- und hergeworfen – die Ostersonne: Das Leben behält den Sieg. Von der Buße bis zur Erlösung – unser Leben wird in seiner ganzen Spannweite im Labyrinth zur Darstellung gebracht.
Seit der Renaissance ist eine Säkularisierung der Labyrinthe als parallele Bewegung zu beobachten. Aus ihrer religiösen Funktion herausgelöst dienten sie nun mehr als Zierde neuzeitlicher Lustgärten. Heute besinnt man sich vermehrt wieder auf die spirituelle Kraft jener alten Kulturtechnik des Labyrinth-Baus: Das Labyrinth verdichtet, ruft hervor, bringt zum Ausdruck, was in uns ist. Hier wollen wir mit unserem Fredelsloher Labyrinth, das dem Stil nach an den Typ Chartres anschließt, anknüpfen und hoffen, dass es etwas in Ihnen in Bewegung setzt.
Foto: Leine-Solling