Moringen (red). In dieser Woche erreichte die Lagergemeinschaft und die Gedenkstätte KZ Moringen e. V. sowie die Mitarbeitenden der KZ-Gedenkstätte Moringen die traurige Nachricht vom Tod von Ernst Blajs.
Ernst Blajs wurde am 7. Januar 1928 in Lepena/Leppen im südlichen Kärnten in Österreich geboren. Seine Familie gehörte zur slowenischen Minderheit. Mit dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurden ihnen die bestehenden Minderheitenrechte genommen. Repression und Verfolgung setzten ein. Die Slowenen standen unter starkem Germanisierungsdruck. 1942 begannen zudem Deportationen der slowenischen Bevölkerung. Schließlich formierte sich ein Partisanenwiderstand. Auch Jugendliche waren hier aktiv, übernahmen Kurierdienste und halfen bei der Verteilung von Flugblättern und Essen.
Ab Sommer 1943 wurden etwa 90 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren aus dem slowenisch-österreichischen Grenzgebiet – nicht nur aus Österreich, sondern auch aus dem seit 1941 besetzten Jugoslawien – in das Jugend-KZ Moringen eingewiesen. Bereits der bloße Verdacht, sie oder Angehörige ihrer Familien könnten die Partisanen unterstützen, reichte aus, um eine Verhaftung zu rechtfertigen.
Zu den verhafteten Jugendlichen gehörte auch Ernst Blajs, zusammen mit seinem Bruder Franz und zwei weiteren Jugendlichen aus ihrem Tal nahe Železna Kapla/Eisenkappel. Am 8. November 1943 begann Ernsts Haft im Jugend-KZ Moringen. Hier war er dem Terror der SS ausgesetzt und musste Zwangsarbeit leisten. Die slowenischen Häftlinge waren im sogenannten St-Block für politische Häftlinge untergebracht. Sie arbeiteten in der Heeresmunitionsanstalt in Volpriehausen, einem ehemaligen Kalibergwerk, auf einer 540 und 917 Meter tiefen Sohle unter Tage. Ihre Aufgabe war es, Granaten zusammenzusetzen, die anschließend in riesigen unterirdischen Kammern des Bergwerks gelagert wurden. Hunger und Kälte bestimmten ihren Alltag. Ihre Haft endete erst mit dem Ende des Krieges.
Dann begann für Ernst Blajs und die anderen slowenischen Häftlinge ein mühsamer, Monate dauernder Weg zurück in ihre 1000 Kilometer entfernte Heimat, wo ihre Familien sie erleichtert und freudig begrüßten. Es galt, das Versäumte nachzuholen und ein normales Leben wieder aufzubauen. Für eine Auseinandersetzung mit den seelischen Folgen von Verfolgung und KZ-Haft fehlte jedoch die Zeit. Es mangelte an Aufmerksamkeit und Verständnis für die Erinnerungen der Überlebenden. Der Alltag musste gemeistert werden. Ernst Blajs arbeitete auf dem elterlichen Bauernhof und als Forstarbeiter sowie Holzschuhmacher. Er fand eine Frau, gründete eine Familie und baute ein Haus.
Anfang der 2000er Jahre reiste Ernst Blajs, begleitet von einer seiner Töchter, erstmals nach Deutschland. Noch einmal wollte er den Haftort seiner Jugend aufsuchen. „Gemeinsam mit ihm besuchten wir Mitarbeitenden der Gedenkstätte jene Orte, an denen er gelitten hatte, schritten über den ehemaligen Appellplatz und nahmen Gebäude der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt in Augenschein“, erinnert sich Dr. Dietmar Sedlaczek, bis Juli 2023 Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen. „Nach der ersten Nacht bekam seine Erinnerung Kontur. Wir setzten uns zusammen und Ernst Blajs erzählte.“
Diesem Besuch sollten noch viele weitere folgen. Ernst Blajs nahm an den jährlichen Häftlingstreffen teil, stets begleitet von seinen Kindern oder Enkelkindern. Das war ihm wichtig, und es war auch seiner Familie wichtig. Wenige Jahre später nahm er, begleitet von seiner Familie, auch an einem Treffen der slowenischen Häftlinge in Maribor (Slowenien) teil, das von der Lagergemeinschaft und der Gedenkstätte organisiert wurde.
2007 organisierte die Gedenkstätte gemeinsam mit der Gedenkstätte Peršmanhof in Kärnten einen Austausch von Jugendlichen aus Moringen und Jugendlichen der slowenischen Minderheit in Kärnten. Gegenseitig stellten sie sich ihre Erinnerungsorte vor. Ernst Blajs begleitete das Projekt als Zeitzeuge und gewährte den Jugendlichen Einblick in seine Geschichte und die seiner Familie. Nicht nur er selbst hatte Verfolgung und KZ-Haft erfahren. Eine Tante war im KZ Auschwitz inhaftiert, und die Stiefmutter der Brüder Blajs war im Frauen-KZ Ravensbrück gefangen gewesen. „Diese Begegnung hat mich auf der Reise am meisten beeindruckt“, schrieb eine der jugendlichen Teilnehmenden in ihrem Projektbericht.
Begegnungen wie diese sind nun Geschichte. Mit dem Tod von Ernst Blajs ist das Ende der Zeitzeugenschaft für das Jugend-KZ Moringen gekommen. Nun liegt es in der Verantwortung all jener, die sich dem Bewusstsein der Unantastbarkeit der Menschenwürde verbunden fühlen, die Geschichte von Ernst Blajs und all der anderen im Nationalsozialismus geschundenen und ermordeten Menschen wachzuhalten.
Für die Lagergemeinschaft und die Mitarbeitenden der Gedenkstätte bedeutet der Tod von Ernst Blajs den Abschied von einem lieben und vertrauten Menschen. „Wir durften euch ein kleines Stück eures Lebens begleiten“, sagt Dr. Dietmar Sedlaczek. „Ihr habt uns Vertrauen geschenkt und eure Geschichte anvertraut. Dafür möchten wir uns bedanken.“
Die Lagergemeinschaft und die Gedenkstätte KZ Moringen e. V. sowie die Mitarbeitenden der KZ-Gedenkstätte Moringen sprechen der Familie von Ernst Blajs ihre aufrichtige Anteilnahme aus.
Dr. Dietmar Sedlaczek, bis 2023 Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen, für die Lagergemeinschaft und Gedenkstätte KZ Moringen e. V. und das Team der KZ-Gedenkstätte Moringen
Foto: KZ-Gedenkstätte Moringen