Uslar (red). Emmi* ist sieben Jahre alt und kommt jetzt in die zweite Klasse. Sie lebt als eines von zwei Jugendhilfekindern in Südniedersachsen in einer Erziehungsstelle des Albert-Schweitzer-Kinderdorfs Uslar. Für sie war ihre Einschulung ein ganz großes Ereignis und jetzt gegen Ende der Sommerferien denkt sie an alle, die ihr nun nachfolgen. „Hallo, ich bin Emmi und möchte alle Schulanfänger grüßen!“
Am Tisch sitzt ein aufgewecktes siebenjähriges Mädchen mit langen blonden Haaren, das freudig strahlt, als es die Grüße ausspricht. Der Schulanfang ist jetzt ein Thema und Emmi war im vergangenen Jahr selber eine ABC-Schützin. Freudig und ein bisschen ungeduldig fieberte sie damals dem Tag ihrer Einschulung entgegen. Zusammen mit anderen ehemaligen Kindergartenkindern trug sie sogar ein T-Shirt mit der Aufschrift: >>Ich bin ein Schulkind 2018<<. Die künftige Zweitklässlerin weiß, dass viele Schulanfänger aufgeregt sind und ganz viele Fragen im Kopf haben, wenn sie in den ersten Tagen das Schulgebäude betreten. Aber die jetzt schon routinierte kleine Schülerin möchte anderen Kindern den Schulstart erleichtern und erzählt quasi aus dem Nähkästchen: „Man wird ganz nett begrüßt und die Lehrer spielten tolle Kennlernspiele mit uns. Außerdem durften wir oft basteln und malen.“
Emmi gefällt besonders das Fach Musik, weil sie da singen kann. Aber auch Mathe hat es ihr jetzt schon angetan, denn dann kann sie mit Geld rechnen. Religion und Sport zählen außerdem zu ihren Lieblingsfächern und im Deutsch-Unterricht ist sie besonders stolz auf sich und ihre Klasse: „Am Anfang musste ich erstmal das Lernen lernen. Jetzt fehlen uns nur noch zwei Buchstaben im Alphabet“.
In den Pausen dann haben alle die Chance, sich im Spieleraum zu treffen oder auf dem Schulhof auszutoben – da kann man auch mal andere fragen, ob man mitspielen kann und lernt so auch neue Freunde kennen.
Nicht jedes Kind ist so aufgeweckt wie Emmi, weiß ihre Pflegemutter und Erziehungsstellenleiterin Elena Kott. Weil sie in der kleinen familiären Einheit „Erziehungsstelle“ tagtäglich für das Wohlergehen und die erzieherische Verselbständigung ihrer beiden Schützlinge verantwortlich ist – und das nicht nur im privaten, sondern eben auch beruflich – war auch die Einschulung ein Meilenstein im Familienleben, der Vor- und Nachbereitung bedeutete. Erziehungsstellen und Kinderdorffamilien bedeuten für Jugendhilfekinder Halt und Struktur sowie Zuverlässigkeit im alltäglichen Leben. Nicht nur für Jugendhilfekinder, sondern für alle kommenden Schüler und Schülerinnen bedeutet der Schulalltag eine schöne, aber auch große Veränderung. Als Diplom-Sozialpädagogin kennt sie ein paar Tipps, wie die Umstellung zum Wohle aller unproblematisch funktioniert: „Es ist von Anfang an wichtig, sich Zeit für die Schulanfänger zu nehmen, nach den Erlebnissen und Eindrücken zu fragen. Ein regelmäßiger Austausch ist das A und O“ empfiehlt sie. Neben der Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die dies den Kindern entgegenbringt, können Eltern und Erziehungsberechtigte so auch heraushören, ob es Probleme gibt. Am besten schafft man Routinen für solche Gespräche, so können diese beispielsweise dem Mittagessen angebunden werden. Außerdem weiß sie, dass es auch auf den eigenen Optimismus ankommt. Man kennt sein Kind schließlich und sollte versuchen, seinem Wesen angepasst eine Balance finden. Zur selbständigen Entwicklung sollten Kindern Freiheiten gelassen werden, gleichzeitig müssen sie aber auch Regeln kennen und lernen, sie einzuhalten.
Elena Kott ist Diplom-Sozialpädagogin und seit 2015 beim Albert-Schweitzer-Kinderdorf angestellt, seither leitet sie auch die Erziehungsstelle.
Nach ihrem Studium arbeitete die 43-jährige zunächst als Jugendpflegerin im Jugendzentrum bei der Stadt und parallel dazu las Familienhelferin bei einem freien Träger. Dort wurde ihr erstmals bewusst, dass es Eltern gibt, die selbst zum Wohle ihrer Kinder nicht bereit sind, massives Fehlverhalten zu ändern. In ihr drängte sich die Frage auf, ob sie sich vorstellen könnte, bei sich einem Pflegekind ein Zuhause zu geben. Schließlich kristallisierte sich ein klares Ja aus dieser Fragestellung heraus und sie nahm Kontakt zum Albert-Schweitzer-Kinderdorf auf. Die Modelle der Kinderdorffamilie, Erziehungsstelle und Pflegefamilie waren ihr bereits bekannt.
In einer Kinderdorffamilie leben bis zu sechs Jugendhilfekinder zusammen mit den Kinderdorfeltern in einer familienähnlichen Struktur in einem Haus zusammen. Mehrere Fachkräfte aus hauswirtschaftlichen und erzieherischen Bereichen unterstützen sie. Ein Kinderdorfelternteil hat eine pädagogische Ausbildung und wird im Kinderdorf fest angestellt. In einer Erziehungsstelle verhält sich das ebenso. Allerdings werden dort nur zwei Jugendhilfekinder aufgenommen und eine Fachkraft unterstützt die Erziehungsstelle mit einem kleinen, frei einzuteilenden Stundenkontingent. Pflegefamilien sind nicht angestellt und werden direkt vom Jugendamt als Partner mit ihrer Aufgabe betreut, erhalten allerdings fachliche Unterstützung durch freie Träger wie dem Albert-Schweitzer-Familienwerk e.V. Supervisionen, Teamsitzungen und fest zugeteilte, fachversierte Ansprechpartner sind zudem Teil aller Modelle. Die Arbeit mit Jugendhilfekindern im eigenen Zuhause ist ein wertvoller Beitrag, Gutes für andere zu tun und jungen Menschen mit einer schwer vorbelasteten Vergangenheit eine echte Chance im Leben zu geben. In kaum einem anderen Beruf lassen sich zudem die eigene berufliche Erfüllung so eng und gewünscht mit dem privaten Leben verknüpfen. Weitere Informationen über das Kinderdorf und die Konzepte gibt es auf der Website www.kinderdorf-uslar.de. Das Albert-Schweitzer-Kinderdorf bietet besonders Pädagogen, Erziehern und Heilerziehungspflegern die Chance auf einen einzigartigen, sinnerfüllenden Job nah am Menschen mit viel Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten und Freiraum für eigene Entscheidungen. Bewerbungen werden im Albert-Schweitzer-Kinderdorf jederzeit gern entgegengenommen.
* Name zum Schutz des Kindes geändert
Foto: Albert-Schweitzer-Kinderdorf