Northeim (lpd). Seit Juli 2017 läuft im Landkreis Northeim ein Modellversuch: Außer dem Notruf (112) landen auch die bei der Notrufnummer der örtlichen Ärzte (116117) Anrufenden direkt bei den Disponenten in der Northeimer Einsatzleitstelle. Projekte, in denen beide Rufnummern zusammengeführt oder durch eine Einsatzleitstelle disponiert werden, sind bekannt. Landesweit einzigartig ist das Projekt beim Landkreis Northeim dennoch. Zum einen werden Fallzahlen erhoben, eine Auswertung ist also möglich. Zum anderen ist die Finanzierung langfristig sichergestellt.
Während zu Beginn des Projektes die oftmals vorherrschende Meinung war, dass viele Menschen unnötigerweise die 112 rufen, haben die Auswertungen jetzt genau das Gegenteil ergeben. So wurden etwa zehn Prozent der Anrufe, die eigentlich beim Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116117 eingegangen sind, von der Einsatzleitstelle direkt an den Rettungsdienst übermittelt. Dies war aufgrund der benötigten medizinischen Versorgung dringend erforderlich, teilweise wurde auch der Notarzt hinzugezogen. Betroffen davon waren in der Modellphase bisher immerhin 1.218 Personen, also rund zehn Prozent, die besser sofort die 112 gerufen hätten.
Im Gegenzug mussten lediglich 1,5 Prozent der Anrufe (413) an die Notrufnummer 112 von der Einsatzleitstelle an den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst vermittelt werden. Kai Reichelt, Leiter der Einsatzleitstelle, kann über einen ganz konkreten Fall berichten: „Eine Großmutter hat in diesem Jahr die 116117 angerufen, weil ihr fünfjähriges Enkelkind schlecht Luft bekam. Der Leitstellendisponent hat sofort einen Rettungswagen alarmiert, der das Kind in die Kinderklinik nach Göttingen gebracht hat.
„Bei Betroffenen oder Angehörigen besteht häufig Unsicherheit, welches der richtige Weg für eine schnelle und angemessene Hilfe ist“, so Harald Jeschonnek, Geschäftsführer des Bezirks Göttingen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Nicht umsonst empfiehlt auch der Sachverständigenrat des Bundesministeriums für Gesundheit, sowohl den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst als auch den Rettungsdienst aus einer Leitstelle heraus zu steuern.
Anhand eines Fragenkatalogs kann der geschulte Disponent innerhalb kürzester Zeit feststellen, welche medizinische Versorgung der Anrufer oder die Anruferin benötigt und ob ein Rettungswagen und möglicherweise ein Notarzt geschickt werden muss oder die Behandlung durch den zum Bereitschaftsdienst eingesetzten Arzt ausreicht. Das Ziel ist, dass in allen Fällen die erforderliche und optimale Hilfe erfolgt.
„Einer Disposition durch die Einsatzleitstelle gelingt beides: Der Rettungsdienst wird dort, wo es möglich ist, entlastet. Und die Patienten bekommen dann, wenn es erforderlich ist, schneller die notwendige Hilfe“, erklärt Dr. Christian Steigertahl, der bis vor kurzem selber als Hausarzt in Northeim praktiziert hat. Das Projekt des Landkreises Northeim und der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) wird deshalb fortgesetzt. Um das erhöhte Anrufaufkommen entsprechend der hohen Anforderungen angemessen bewältigen zu können, wird das Personal der Einsatzleitstelle aufgestockt: Der Landkreis Northeim und die KVN teilen sich die zusätzlich anfallenden Personalkosten von etwa 68.500 Euro jährlich, wobei an dem Anteil der Kassenärztlichen Vereinigung die Ärzte indirekt beteiligt sind. „Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit kann im Zweifel wertvolle Zeit gewonnen werden“, begründet Landrätin Astrid Klinkert-Kittel ihre Entscheidung zur Fortführung des Projekts. Auch die Ärzte im Landkreis Northeim haben sich mehrheitlich für die Fortsetzung der Zusammenarbeit ausgesprochen.
Foto: lpd