Einbeck (ant). Die Blätter an den Bäumen sind gelb, das Laub sammelt sich an den Straßenrändern. Eine schmale Straße führt auf einen Berg, vorbei am Einbecker Stadtwald. Inmitten der Natur, umringt von Bäumen, steht eine gepflegte Immobilie im idyllischen Landhausstil. Das Haus ist weiß, und die Fensterrahmen sind im gleichen Tannengrün wie die Eingangstür gestrichen. Über dem Eingangsbereich prangen in dunkelgrünen Großbuchstaben die Worte „Hotel Hasenjäger“. Das Entree des Restaurants und Hotels ist mit einem dunkelroten Teppich mit Muster versehen. Im Innenbereich dominiert Holz, das Inventar erinnert an ein österreichisches Gasthaus.
Ein etwas kleinerer Mann kommt den Flur entlang. Er trägt einen blauen Anzug, ein weißes Hemd und elegante Schuhe. Seine braunen Augen strahlen. Er trägt eine Glatze. Er streckt die Hand aus: „Hallo, ich bin Radwan Alo. Herzlich willkommen im Hasenjäger“, sagt er mit einem freundlichen Lächeln.
Der 44-jährige Syrer stammt aus dem kurdischen Gebiet in Nordsyrien, aus der Stadt Ra's al-´Ain. „Ich bin vor knapp 25 Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen“, erzählt er. In seiner Heimat wurden jesidische Kurden wie Alo politisch und religiös verfolgt. Um ihm eine bessere Zukunft zu ermöglichen, entschieden seine Eltern, ihren Sohn nach Deutschland zu schicken. Sein sonst freudiges Gesicht wird ernst, als er weiter erzählt.
Der damals 18-jährige Alo, allein auf der Flucht und voller großer Träume, erlebte zum ersten Mal, was es bedeutete, auf sich gestellt zu sein: „Es war für mich ein totaler Kulturschock – ich hatte das Gefühl, dass die Menschen in Deutschland den Syrern 100 Jahre voraus sind“, erinnert er sich. Alo, der in einem kleinen Dorf in einer syrischen Provinz aufgewachsen ist, nimmt einen Schluck Wasser aus einem Glas. Der Raum, in dem er sitzt, ist weihnachtlich geschmückt. Frisch gebügelte und gestärkte Tischdecken sowie Stoffservietten liegen auf den Tischen.
„Mein Ziel war von Anfang an, in Deutschland eigenständig auf den Beinen zu stehen“, betont er. Einer seiner größten Wünsche sei es gewesen, eine gute Schulbildung zu erhalten und sich weiterzubilden: „In Syrien habe ich die Schule sechs Jahre lang besucht, aber davon immer nur einige Monate“, erzählt er. Deshalb konnte Alo bei seiner Ankunft in Deutschland kaum lesen, schreiben oder rechnen.
Als er 1999 in Deutschland ankam, wurde er zunächst in eine Flüchtlingsstelle nach Braunschweig und dann in ein Flüchtlingsheim in Einbeck gebracht. Doch schon kurze Zeit später wurde sein Asylantrag abgelehnt – Alo sollte abgeschoben werden. Der junge Mann gab jedoch nicht auf und legte mit Hilfe eines Rechtsanwalts Einspruch ein. Nach etwa anderthalb Jahren entschied das Landesgericht Göttingen: Alo sollte zurück nach Syrien.
Fortsetzung folgt morgen…